Heute hat Hans Christian Geburtstag – wie jedes Jahr am 19. Dezember.
In diesem Jahr war es wieder ähnlich stressig wie in früheren Jahren: in allerletzter Minute ist vorgestern mein neues Buch aus der Druckerei eingetroffen, ich habe Pakete gepackt, die vorbereiteten Rechnungen dazu gelegt und die Post per Express verschickt.
Gestern kam dann schon die ersten Rückmeldungen, einige Bücher waren bereits angekommen. Ich atmete durch, hatte ich doch das Gefühl, dass die Verlagsangelegenheiten sich nun so langsam beruhigten. Es würde auch dieses Jahr keine neuen Bücher geben, die der jeweilige Autor allen Freunden und Bekannten zu Weihnachten schenken konnte. Das hatte ich einigen Autoren schon im November klar gemacht: man kann einfach so schnell kein Buch herstellen. Wenn ein Buch zu Weihnachten fertig sein soll, muss das Manuskript spätestens Anfang August vorliegen. Und weil ich das dieses Jahr so klar gesagt hatte, gab es keinen Stress mit ungeduldigen Autoren. Nur für meines eigenes Buch gab es fast 100 Vorbestellungen, und einige Besteller warteten schon ungeduldig. Aber das hat ja nun geklappt.
Mein eigenes Buch verschenke ich nicht zu Weihnachten – da habe ich mir etwas anderes ausgedacht. Aber das muss ich jetzt noch anfertigen und dann an die weiter entfernt wohnenden Freunde per Post verschicken. Wird schon klappen, genau wie mit meinem neuen Buch.
Als ich gestern dachte, es ist etwas Zeit zwischendurch für ein Weihnachtslied am Klavier, da ging die Waschmaschine kaputt. Da brauchte ich heute mal nicht zu waschen. Der Elektriker brachte sie später wieder in Ordnung. Der Hausarzt kam noch einmal und nahm die Weihnachtspäckchen für sich und das Praxisteam mit. Dann machte ich einen kurzen Mittagsschlaf, ging mit Senta spazieren und fing an, den Geburtstagskuchen anzurühren.
Das ist jedes Jahr dasselbe – nur habe ich es im vorigen Jahr gar nicht geschafft. Mein Mann wünscht sich immer einen Frankfurter Kranz, dafür habe ich an jedem unserer Wohnorte einen hervorragenden Bäcker gefunden. Dazu aber hat er gerne einen Rodonkuchen – der ist einfach und schnell zu machen und wir haben bis Weihnachten etwas davon.
In der Gärtnerei habe ich den obligatorischen Geburtstagsstrauß mit roten Rosen und weißem Flieder bestellt – 7 Rosen und 6 Stengel Flieder, denn Hans Christian wird dieses Jahr 76. Als wir noch in Bamberg wohnten, war es kein Problem, den Flieder zu bekommen. Der stand zu Weihnachten immer im Blumenladen. Auf Fehmarn aber ist das nicht üblich, da muss der Flieder bestellt werden. Letztes Jahr hatten wir keinen, aber gestern habe ich schon erfahren, dass der Flieder gekommen ist.
Als der Kuchen im Backofen war, habe ich nämlich mit Hansi in der Gärtnerei im Dorf unseren Weihnachtsbaum gekauft und ins Gartenhäuschen geschleppt. Daran muss ich jetzt nicht mehr denken. Das mache ich immer am Tag vor Hans Christians Geburtstag. Hansi arbeitet bei uns, er pflegt den Garten, hilft mir im Haus und betreut Hans Christian, der selber nicht mehr laufen kann. Dann hatte ich Zeit, Hans Christians Geschenke einzupacken. Man muss immer trennen – was bekommt er zu Weihnachten und was zum Geburtstag? Das ist aber ganz einfach, denn auch die Geschenke sind im Prinzip jedes Jahr ähnlich: Etwas Schönes zum Anziehen, der literarische Hundekalender, ein Duschgel von Joop und ein Kasten Pralinen von Lindt.
Dieses Jahr war Hans Christian erkältet und ich dachte, dass wir vielleicht diesmal nicht in seinen Geburtstag hinein feiern. Aber im Nu ging es auf Mitternacht zu, ich deckte den Geburtstagstisch in der Küche und Hans Christian saß in seinem Sessel vor dem Fernseher. Diesmal schlief er nicht wie an anderen Tagen, er wartete wohl auch auf seinen Geburtstag. Als unsere Uhr Mitternacht schlug, schaltete ich den Fernseher aus und vom iPhone erklang das Lied „Wie schön, dass Du geboren bist“ – auch das ist jedes Jahr dasselbe. Ich war nur froh, dass das Lied noch auf dem iPhone gespeichert war. Dann stießen wir beide mit einem Glas Fehmarn-Sekt an und ich gratulierte meinem lieben Geburtstagskind, setzte ihn in seinen Rollstuhl und fuhr ihn in die Küche.
Dort brannte die Geburtstagskerze im Rodonkuchen und drei Adventskerzen in unserer Adventsschale – wie jedes Jahr. Erwartungsvoll saß Hans Christian am Tisch und wir stießen wieder mit dem Sektglas an. Ich stellte eine CD mit Weihnachtsliedern von John Rutter an, das erste Stück aber war „The Lord bless you and keep you“ – das hatten wir im Chor immer für die Geburtstagskinder gesungen und so bekam Hans Christian es auch vorgespielt – mit einem Solo von mir. Nun fragte ich ihn, ob er den Geburtstagskuchen probieren wollte. Nein, er wollte erst die Geschenke auspacken – jedes Jahr dasselbe! Sonst hatten wir ja beim Hineinfeiern noch gar keinen Rodonkuchen …
Ich las ihm erst mal die bereits eingetroffenen Geburtstagskarten vor, auch meine – denn Hans Christian kann nicht mehr lesen. Aber der Sekt schmeckte ihm und nach meinen Geburtstagswünschen gab es ein Küßchen, ein Gedicht mit guten Wünschen, die damit endeten: „Ich wünsche Dir ein Jahr, von dem Du sagen wirst: Es möge Jahre dauern.“ Hans Christian schaute etwas traurig und ich sagte, bis zum 90. Geburtstag wollte er doch mindestens noch durchhalten! Dann zählte ich, wie oft wir beide schon seinen Geburtstag gefeiert hatten: Dies war das 17. Mal! Immer schöne Feiern, und eigentlich jedes Jahr dasselbe – mit geringen Variationen.
Dann schaute ich erst einmal auf das iPad – wir können uns auf einige Freunde verlassen, die senden immer um Mitternacht eine E-Card mit Bildern und Musik. Diesmal spielte eine ganze Blaskapelle „Hoch soll er leben“, das sang ich mit voller Vorfreude auf das Ständchen der morgigen Geburtstagsgesellschaft – da gibt es ja einen speziellen Fehmarnschen Brauch. Senta, unsere Berner Sennenhündin, hatte noch gar nicht mitbekommen, dass etwas Besonderes los war. Ich lockte sie mit einem herrlichen Knochen in die Küche und sie gratulierte ihrem Herrchen, indem sie ihre Schnauze auf sein Knie hielt – wobei sie den Geburtstagstisch genau betrachtete, aber den Knochen erst einmal vorzog.
Dann durfte Hans Christian sagen, welches Päckchen ich ihm zuerst öffnen sollte. Das wusste er nicht und so begann ich – in der Reihenfolge, wie wir es immer gemacht haben. Zuerst kam ein wunderschöner gestreifter Alpaka-Pullover in tollen Farben zum Vorschein, der bei Hans Christian ein Lächeln hervorzauberte. In den letzten beiden Jahren hatte er nämlich warme Schlafanzüge bekommen, und das hat für einen pflegebedürftigen Mann einen merkwürdigen Beigeschmack. Aber nun ein schöner Pullover! Das Leben geht weiter, er liegt nicht nur im Bett. Das nächste Päckchen war härter, Hans Christian fühlte, aber er wusste nicht, was es war. Er freute sich über den literarischen Hundekalender, der uns im nächsten Jahr begleiten wird. Das Päckchen mit dem Duschgel machte ihm keine so große Freude, weil Hans Christian nicht gerne duscht. Und dann kam endlich die große Pralinenschachtel mit den Lindt Pralinen. Auch das ist jedes Jahr dasselbe – jeder sucht sich seine Lieblingspralinen aus, jedes Jahr sind es dieselben (deswegen müssen es immer Lindt Pralinen sein).
Ich erzählte Hans Christian, dass seine Blumen und der Frankfurter Kranz erst morgen kämen. Dann kam Senta und durfte Geburtstagsleckerli vom Tisch nehmen – Pralinen sind ja nun doch nichts für einen Berner Sennenhund. Und dann nahm sie sich das bunte Geschenkpapier vor, das am Boden lag. Jedes Jahr dasselbe …
Wir plauderten noch ein wenig, hörten Musik, tranken Sekt und aßen Pralinen, und ich sagte dann, um 1 Uhr gehen wir aber ins Bett. Mit dem Treppenlift ging es in die obere Etage, dann ins Bad und schließlich ins Bett. Das hört sich leicht an, ist aber ziemlich anstrengend, weil ich meinen Mann jedes Mal in den Rollstuhl heben muss. Dann war er endlich im Bett, nahm sein Mutmachtier (eine kleine Nicci-Giraffe), sprach sein Abendgebet und dankte dem lieben Gott dafür, dass er nun schon 76 Jahre so gut leben darf.
Kurz vor dem Einschlafen fragte ich ihn, wie alt er denn noch werden möchte: Da sagte Hans Christian ohne zu überlegen: 100 Jahre!! Das kann ich dann sicher auch durchhalten, weil unsere kleinen Traditionen und Gewohnheiten uns das Feiern erleichtern, auch wenn es mitten im beruflichen Weihnachtsstress und in den privaten Weihnachtsvorbereitungen stattfindet.
Für heute Nachmittag haben wir einige wenige Leute zum Geburtstagskaffee eingeladen. Vor allem die, die uns im Alltag helfen, mit denen wollen wir auch feiern. Und beim Abendessen bin ich dann mit Hans Christian alleine, sonst wird es ihm zu viel. Es werden ja sicher einige Anrufe kommen und ganz viel Post, das muss er erst einmal verkaften. Dazu noch diverse Überraschungen. Ich habe eine Ente aus dem Landhausrestaurant hier im Dorf bestellt, wie voriges Jahr. Das hatte uns gut gefallen und ich muss dann nicht noch kochen. Wir können den Abend genießen bei leckerem Essen und einem guten Rotwein, und den Nachtisch habe ich gleich mit bestellt.
Am Tag nach Hans Christians Geburtstag beginnen die Verlagsferien. Und nun kann ich mich endlich auf Weihnachten vorbereiten. Die Engelkapelle aufstellen und die alte schöne Holzkrippe, die zwei Jahre auf dem Dachboden bleiben musste, weil Senta vor zwei Jahren noch ein Welpe war und voriges Jahr dann noch zwei junge Katzen da waren. Es ist gerade noch Zeit für einige Weihnachtsbriefe, später kann ich noch E-Mails verschicken. In diesem Jahr habe ich es geschafft, rechtzeitig Annoncen unseres Verlages in den Weihnachtsbeilagen der regionalen Zeitungen aufzugeben. So spare ich mir vor Ort eine Reihe von Briefen. Dann folgt vielleicht noch ein Weihnachtsblog und dann kehrt endlich Ruhe ein. Ich freue mich auf die stillen Tage, habe aber schon eine Menge Ideen, was ich machen möchte. Dazu gibt es einige Verabredungen „zwischen den Jahren“ – diese Zeit ist so kurz, aber jedes Jahr denkt man wieder, man kann da viel unternehmen.
Unsere kleinen Traditionen helfen uns jedes Jahr, im Weihnachtstrubel Besinnung und ruhige Stunden zu finden, das Zusammensein zu genießen, gut zu essen und zu trinken, uns zu pflegen und zu unterhalten – und all das ohne großen Stress.