Heute nachmittag habe ich endlich die Stapel von Papieren sortiert, die sich in den vergangenen Monaten auf und um den Schreibtisch herum angesammelt hatten. Ich packte alte Ordner in Archivkartons und legte neue Ordner an. Eine ziemlich langweilige Angelegenheit war das.
Aber ich war voll motiviert, wegen der neuen Aufgabe, die ich mir für danach vorgenommen hatte. Nichts sollte mich stören. Da – der Ton einer neuen E-Mail. Ach, schon wieder möchte jemand mein Facebook-Freund werden – ich habe doch gerade einige gelöscht!
Kaum hatte ich mich wieder meinen Papierstapeln zugewandt, da kam die nächste E-Mail. „Das größte Glück für mich ist, wenn ich über die Fehmarnsund-Brücke fahre und ich endlich wieder das großartige Gefühl habe, daheim zu sein.“ Aha, daher weht der Wind! Also bestätige ich die Freundschaft, und sortiere weiter. Kurz darauf die nächste Mail: „Das stimmt. Fehmarn ist das schönste Fleckchen Erde was es gibt. Kommen seit 10 Jahren immer wieder hin. Es ist unser größter Traum dort leben zu dürfen. Das Herz weint immer, wenn die Urlaube vorbei sind.“
Na, darauf musste ich nun aber antworten: „Das Herz weint solange, bis Ihr auf diese schöne Insel zieht! Bei mir hat es über 30 Jahre gedauert, aber wir waren dann immer öfter und immer länger hier. Nun schon seit über drei einhalb Jahren! Und wir wollen nicht wieder weg!“ Meine Konzentration für das Sortieren war längst verflogen, ich träumte von unserer schönen Insel.
Die neue Freundin legte dann noch einmal zu: Sie hatte in meiner Chronik einen Eintrag vom Sommer 2012 gefunden, zu meinem Buch „Strandallee, ein Weg zum Glück“. Sie schrieb: „Ein geniales Buch. Es spiegelt genau meine Gedanken und Gefühle für die Insel Fehmarn wieder. Musste beim lesen einige Tränchen verdrücken.“ Na, das musste ich dann auch!
Im Nu war an dem langweiligen Nachmittag am Schreibtisch ein vergnüglicher Moment entstanden, ja, sogar ein glücklicher Tag! Spät nach dem Abendessen schaltete ich den Fernseher aus und wollte meinen Mann ins Bett bringen. Der aber wollte noch Musik hören. Obwohl ich eigentlich noch ein wenig arbeiten wollte, ging ich zum Flügel und packte erst einmal die Weihnachtsliedernoten weg. Die brauchen wir jetzt nicht mehr. Im Klavierhocker fand ich das Heft mit meinem Lieblingsstück, dem Impromptu As-Dur von Franz Schubert. Das Stück habe ich schon zur Einweihung unseres Flügels und auch nach jedem Umzug als erstes gespielt.
Wir wohnen ja auf dem Dorf, und so kann man auch kurz vor Mitternacht noch Klavier spielen, ohne jemanden zu stören. Allein das ist schon Glück! Aber dann schaute ich ins halbdunkle Wohnzimmer: Mein Mann lauschte andächtig in seinem Sessel, und Senta, unsere Berner Sennenhündin, lang entspannt auf dem Sofa gleich neben dem Flügel. Und dann hob sie mit einem Male den Kopf, legte die Schnauze auf die Sofalehne und schaute mich mit ihren großen braunen Augen an. Was für ein glücklicher Tag!
Und weil meine neue Facebook-Freundin mit der großen Sehnsucht nach unserer Insel Fehmarn und der Strandallee so schön geschrieben und an mein Buch „Strandallee – Ein Weg zum Glück“ erinnert hat, setze ich hier das Kapitel „Winterglück“ ein. Ich habe es bei der Adventslesung am 2. Advent in unserem Haus vorgelesen und alle waren damals bewegt. Ich habe den Text dann aufgenommen und zu Weihnachten auf einer CD verschenkt. Hier nun das „Winterglück“ in Wort, Bild und Ton!
Ich wünsche Euch allen einen guten Start ins neue Jahr und jeden Tag ein wenig Winterglück!
Winterglück
8. Februar 2011
Mit einem Mal fing es an zu stürmen. Ich telefonierte gestern Abend gerade mit einer guten Freundin, die sich Sorgen machte. Ich erzählte ihr, man solle sich keine Sorgen machen, sondern positive Energien zu demjenigen schicken, um den man sich sorgte. Es stürmte, und man meinte, das Haus wackelte. Ich machte mir keine Sorgen, aber ein wenig unheimlich war es schon. Als es immer schlimmer wurde, ging ich mit dem Telefon nach unten in die Küche, in der ich das offene Fenster entdeckte. Ich schloss es, trotzdem wehten die Gardinen, es polterte. Erst heute Morgen sah ich, dass unsere Bank von der Terrasse bis in den Garten geflogen war. Nun habe ich sie endlich ins Gartenhäuschen gebracht, denn das war sicher nicht der letzte Sturm dieses Winters.
Unser Vogelhaus ist im Sturm zerbrochen, es war schon alt und ein wenig klapprig. Ich wollte erst zum nächsten Winter ein neues kaufen, aber Hans Christian meinte: „Wie schade!“ Er beobachtet die Vögel im Garten besonders gerne, die Spatzen, die Meisen, das Rotkehlchen, die Amseln und das Fasanenpärchen, das jeden Tag kommt, gerade wenn wir frühstücken. Also fuhr ich los in die Stadt, um ein neues Vogelhaus zu kaufen.
Die Sonne strahlte nach dem Sturm, und die Strandallee zog mich magisch an. Ich wollte unbedingt zum Strand, so wie ich es vorige Woche schon zweimal gemacht hatte. Der Strand ist für mich ein Ort, an dem es kaum Grenzen gibt. Der weite Himmel trifft auf das Meer, die Natur scheint grenzenlos zu sein.
Neulich war ich zum ersten Male ganz spontan da, und mir blieb der Atem fast weg, als ich diese unglaubliche Schönheit erblickte: Die Sonne strahlte auf das Eis am Strand, die Brandung erschien lebendig, aber war gefroren. Das Eis trug und man konnte die Grenze vom Land aus ein wenig hinaus aufs Meer verlagern. Nur 15 Minuten, und ich hatte alles vergessen, was mich bedrückt hatte. Nur Himmel, Luft, Sonne und Meer – ich war einige Lasten losgeworden, sie waren wie weggeblasen.
Heute nun schaute ich vom Fenster unserer Strandwohnung auf das sonnenbeschienene Meer, zog mir meine Strandschuhe an und schon lief ich über die große Wiese zur Strandpromenade. Der Strand war nicht mehr gefroren so wie neulich, es war eine Wohltat, durch den weichen Sand bis zum Wasser zu laufen. Meine Schmerzen, die mich seit Tagen gequält hatten, waren nicht mehr zu spüren. Die Bewegung an der frischen Luft tat gut nach den Tagen am Schreibtisch.
Denn gestern hatte ich mein Manuskript für das neue Buch endlich abgegeben. Ein Glücksgefühl ist das! Endlich ist man wieder frei, kann Neues beginnen, mit Freunden telefonieren und mailen, und man kann einfach mal zum Strand gehen …
Ich habe allen Grund, glücklich zu sein. Am Wochenende habe ich ein Seminar hier auf der Insel besucht. Zum ersten Male war ich zwei Tage hintereinander mehrere Stunden von zu Hause weg. Eine Pflegekraft war bei meinem Mann, alles ist gut gegangen. Das ist beruhigend, denn ich könnte ja auch mal krank sein (das wollen wir nicht hoffen …). In dem Seminar ging es auch um Stress, ich habe neue Einsichten gewonnen. Über das, was mir Stress bereitet, aber vor allem über das, was mir gut tut. Denn das sollte immer das Wichtigste sein, gerade wenn man viel für andere da ist.
Ich mache jetzt jeden Morgen einige Minuten Qi Gong mit Musik. Die sanfte Bewegung tut mir gut, das entspannt und hilft gegen Schmerzen. Am besten aber hilft der Strand. Schon der Anblick der Strandallee im Sonnenschein stimmt mich glücklich, immer noch beginnt mein Herz vor Freude zu klopfen, wenn ich mich dem Südstrand nähere.
Es ist wie ein Wunder: In dem Moment, wenn ich den Strand betrete und den Sand unter meinen Füßen spüre, fällt ganz viel Ballast von mir ab. Ich kann einfach alles wegwerfen, was mir in der letzten Zeit zu schwer war: Verpflichtungen, vermeintliche Zwänge, „Ich sollte eigentlich“-Aktivitäten, negative Erlebnisse, psychische und körperliche Belastungen, Schmerzen und Verspannungen, die das Denken und Fühlen eingeengt haben. Der Geist wird frei und eine Weile ist gar nichts da, eine Leere, die Kreativität entstehen lässt.
Ich wandere am Wasser entlang, voller Schwung, mit Sonne und Wind im Rücken. Der Anblick einer kreischenden Möwe erinnert mich plötzlich an ein negatives Erlebnis. Mir kommt die Frage in den Sinn, wen ich aus meinem Leben entlassen möchte, welche negativen Gedanken verschwinden sollen. In letzter Zeit sind Erinnerungen an die Vergangenheit hoch gekommen, durch „Zufälle“ oder „Absichten“ – wer kann da schon sicher sein? Sind es Erinnerungen, die noch eine Aktualität haben? Ich mache mir in Gedanken eine Liste des psychischen Ballastes, zerschnipsele sie und lasse sie im Wind übers Wasser fliegen.
Aber dann kommt etwas Wichtiges: Das Glücksgefühl dieses Strandspaziergangs, das speichere ich in meinem Gehirn und in meinem Herzen. Ich stelle mir eine Flaschenpost vor, die ich in die Ostsee werfe. Sie bringt das Glücksgefühl zu den Menschen, die mir in meinem Leben am Allerwichtigsten sind. Ich schicke gute Wünsche übers Meer, ich fühle mich glücklich, als ich sie entlassen habe.
Ja, manchmal macht es einfach glücklich, an den Strand zu gehen. Als ich zum Auto zurück laufe, merke ich mit einem Mal, dass meine Schmerzen fast weg sind. Kann das sein? Oh ja, ein Spaziergang am Strand, wo man jetzt im Februar fast alleine ist mit dem Wind, der Sonne und dem Meer, der tut schon gut. Der macht glücklich. Und er lässt Schmerzen verschwinden, die uns daran erinnern, was uns belastet.
Der Wind hat alles Negative weggeblasen. Das Laufen am Meer, das Ausschreiten gegen den kräftigen Wind, mit dem Gesicht in der kalten Februarsonne, das gibt viel neue Kraft. Für neue Pläne und Aktivitäten, für glückliche Begegnungen, für positive Beziehungen.
Bald gehe ich wieder zum Strand. Denn manchmal muss man nur an den Strand gehen, um glücklich zu sein. Schaut die Bilder einmal an. Ist das nicht schön? So ist es im Sommer nie, diese Farben, diese Weite des Meeres, das gibt es nur jetzt im Winter. Das ist pures Winterglück. Und noch ganz benommen vom hellen Sonnenschein setze ich mich ins Auto und fahre über die Strandallee nach Burg, wo ich ein neues Vogelhaus kaufe. Dann fahre ich zurück nach Neujellingsdorf, wo das Glücksgefühl, das ich am Strand losgeschickt hatte, bereits angekommen ist.
Aus meinem Buch:
Strandallee – Ein Weg zum Glück.
Geschichten und Bilder von der Sonneninsel Fehmarn
2. Aufl., Edition Forsbach 2013