Das war mein erstes Ostern ohne Dich – das erste Mal in meinem Leben, dass ich ganz alleine war. Aber ich war nicht einsam. Und außerdem ist Senta ja immer bei mir. Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, dieses Osterfest als Zukunftsfest zu feiern und nicht traurig zu sein. Stell Dir vor, es war ein wundervoller Frühlingstag – wolkenloser blauer Himmel, alles grün und gelb, weil der Raps bereits blüht. In unserem Garten blüht und grünt es. Die drei Apfelbäumchen und der Pflaumenbaum, die wir erst im vorigen Jahr gepflanzt haben, haben die ersten grünen Triebe. Auch die beiden Johannisbeer- und die beiden Himbeerbüsche, ebenfalls erst im vorigen Jahr gepflanzt, sind schon schön grün. Die Welt erwacht zu neuem Leben!
Am Samstag habe ich Ostereier gefärbt, wie in all den Jahren mit Dir. Ich erinnerte mich an unser erstes gemeinsames Osterfest vor 16 Jahren, als Du zu mir nach Fehmarn kamst. Ich war so stolz, dass ich schöne frische Landeier direkt vom Bauernhof besorgt hatte. Du aber warst ziemlich „sauer“, weil Du sagtest, braune Eier kann man nicht färben. Ich fand, dass sie dann doch ganz schön aussahen. Mir fiel sogar ein, dass in dem Blumentopf mit den Osterglocken, der auf dem Tisch meiner Ferienwohnung stand, ein kleiner Wurm war. Du nahmst das mit Ruhe und sagtest: auch der kleine Wurm möchte doch leben! Und so war unser Osterfest sehr schön, wie all die anderen, die dann folgten. Übrigens bin ich am Donnerstag noch in verschiedenen Geschäften gewesen, um Ostereierfarben und weiße (!!) Eier zu bekommen!
Am Sonntag nahm ich an der wunderbaren Feier „Mit Luft und Liebe und mit Lindloff“ in der Kirche von Landkirchen teil, wo das seit Jahrzehnten verschollene Bild des Pastors Lindloff (18. Jht.) frisch restauriert an die Gemeinde übergeben wurde. Vor der Kirche spielte der Bläserchor, die Musik schallte durch das Dorf und ich ging freudig dorthin. Zu Beginn trug der Pfarrer die große Osterkerze durch die Kirche, gefolgt vom Ehepaar Meussling mit dem verhüllten Bild und den Kleinen vom Kinderchor.
Pfarrer Kark-Carlson hatte die Rose als Symbol der Liebe ausgewählt – ich fühlte mich an die Trauerfeier zu Deiner Beerdigung erinnert, wo mich die Pracht der roten Rosen mit dem weißen Flieder getröstet hatte. Ein großer Rosenstrauch stand in einer Schubkarre bereit, er soll an die Heimkehr des Bildes erinnern, er wurde nach dem Gottesdienst neben dem Haupteingang der Kirche eingepflanzt und auf den Namen „Lindloff-Rose“ getauft.Das Bild des Pfarrers Lindloff war vor langer Zeit abhanden gekommen. Der Pfarrer Rüdiger Meussling aus Plötzky in Sachsen-Anhalt hatte das Bild 2008 bei Ebay ersteigert, seine Frau Anna-Maria hat es restauriert. Dann haben sie recherchiert, wer der abgebildete Lindloff war. Er war 45 Jahre lang Pastor in Landkirchen und ist dort begraben. Und nun ist das Bild zurück gekehrt und hängt wieder über der Grabstelle von Lindloff. Das Ehepaar Meussling bekam zum Dank einen kleineren Rosenstrauch geschenkt. Sogar dänische Nachkommen des Pfarrers Lindloff waren bei dieser feierlichen Übergabe anwesend!
Es wurden Osterlieder gesungen, es gab Musik mit den Kinderchören und dem Bläserchor, und dann wurden Rosen für jeden Gottesdienstbesucher verteilt. Ich bekam zwei, und brachte eine davon auf Dein Grab, das ja ganz in der Nähe der Kirche ist. Dann traf ich meine Chorfreundin mit ihrem Mann – wegen dieser Feier in Landkirchen hatten wir nicht in der Kantorei in Burg mitgesungen. Sie nahmen mich mit ins Pastorat – im Garten suchten die Kleinen Ostereier und drinnen gab es Kaffee und Kuchen für alle. Das Ehepaar aus Magedeburg berichtete über die Restaurierung des Bildes und erzählte von der Situation ihrer Kirche während der DDR-Zeiten.
So war ich erst gegen Mittag wieder zu Hause, wo Senta mich sehnlichst erwartete. Ich ging in den Garten und schnitt einige Zweige, die ich mit der Rose in eine Vase stellte. Ich hängte die Ostereier aus Glas an, auf die meine Mutter einst liebevoll winzige Bildchen gemalt hatte. Schon viele Jahre hatte ich sie nicht mehr ausgepackt. So war meine Mutter auch ein wenig anwesend an diesem Ostersonntag.
Der Tisch war schön gedeckt und Senta saß wie immer auf Deinem Platz. Sie mag auch Ostereier, aber beim „Eierkippen“ konnte sie nicht mithalten, dafür sind ihr Pfoten zu dick.
Den Osterkuchen mochte Senta natürlich auch, den ließen wir uns nach unserem Osterspaziergang auf der Terrasse schmecken.
Am Abend gab es – wie jedes Jahr am Ostersonntag – Lammkoteletts mit Ofenkartoffeln und grünen Bohnen. Mutig hatte ich mir vier Koteletts gekauft, zum Glück hat Senta mir beim Essen geholfen.
Am Abend fiel mir plötzlich ein, nach den Fotos von unserem Zukunftsfest vor fünf Jahren zu suchen. Und dabei fand ich ein kleines Filmchen, das ich mit meinem damals neuen iPhone um Mitternacht an meinem Geburtstag in unserer Strandwohnung aufgenommen hatte. Du hast da so liebevoll Deine Glückwünsche gesprochen und mit mir angestoßen – dieses Filmchen werde ich mir beim nächsten Geburtstag einfach vorspielen!
Nach einem schönen Film im Fernsehen fiel mir kurz vor Mitternacht plötzlich ein, wieder Klavier zu spielen. Ich räumte Dein Bild und die Kerze von unserem schönen Flügel, setzte mich hin – und tatsächlich: Nur vier Wochen, nachdem ich mir den kleinen Finger der rechten Hand gebrochen hatte, konnte ich Schuberts Impromptu As-Dur op. 142 Nr. 2 wieder spielen – mit aktivem kleinen Finger!!
Das war für mich ein weiteres Osterwunder an diesem Tag voller wundersamer Ereignisse. Das Musikstück, das ich immer wieder zu besonderen Anlässen gespielt hatte, war die Krönung dieses Ostersonntages. Ein wahres Zukunftsfest, ohne dass die Vergangenheit verloren gegangen wäre. Sie ist bei mir, genau wie Du in meinem Herzen bist. Denn ich liebe Dich noch immer!
Dieses Osterfest vergesse ich nicht so schnell wieder – ich war alleine, aber nicht einsam. Dazu das wundervolle Wetter mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und Tausenden von Blüten – einfach schön! Und immer wieder Senta, die kaum noch von meiner Seite weicht …