Gestern fiel mir die Stelle aus einem Lied ein, das ich vor einiger Zeit gehört hatte: „Einmal leben“ – wie war doch der Text, von wem war es? Ach ja, von Rolf Zuckowski, dessen „Lebensliederbuch“ ich mir zum Geburtstag geschenkt hatte.
Einmal leben, einmal leben,
zweimal leben gibt es nicht.
Einmal leben, einmal leben,
und die Sonne scheint in dein Gesicht.
Nachdem ich am späten Abend den Computer abgestellt und meinen Schreibtisch verlassen hatte, ging ich ins Wohnzimmer, um das Lied von der CD anzuhören. Kaum saß ich auf dem Sofa, kam schon Senta und schmiegte sich an mich.
Ich hörte die ganze CD – zum ersten Male seit meinem Geburtstag – ohne Unterbrechung. Schöne Erinnerungen waren mit manchen Liedern verbunden. Warum hatte ich mir nicht schon eher Zeit dafür genommen?
Die letzten Wochen sind wie im Fluge vergangen, dabei wollte ich Anfang Juli schon mit der Sommerpause beginnen. Aber es sind noch nicht alle Projekte fertig, die vor der Sommerpause erscheinen sollten: Letzte Woche kam jeden Tag ein neuer Kalender aus der Druckerei – inzwischen sind es schon vier, und am Freitag kam auch noch unser erster Roman.
Das alles erfüllt mich mit Freude und Stolz, und so trank ich gestern ein Glas Sekt auf meine lieben Autorinnen und Autoren, die mir so viel Freude bereiten – und die sich auch so richtig freuen können über ihren Kalender oder ihr neues Buch. Das gibt Kraft zum Weitermachen.
Denn das bedeutet auch immer sehr viel Arbeit – nicht nur die Vorräte die Treppe hinauf schleppen, sondern auch Rechnungen schreiben, Pakete packen und Bücher zu den Buchhandlungen auf der Insel bringen.
Schon neulich stieß ich mit meinen Freundinnen auf meine neueste Kreation an: Ein Wochentischkalender „Leben ist Mee(h)r“ mit 52 Gedanken für ein glückliches und erfülltes Leben. Tage- und nächtelang habe ich daran gearbeitet, passende Bilder und Sprüche (alle von mir) auszusuchen. Und es hat mich glücklich gemacht, denn das war endlich mal etwas, was ich nur für mich tat. Abgesehen davon, dass ich damit auch meinen Freundinnen eine Freude machen werde. Nächste Woche warte ich also wieder auf den Paketdienst, wenn dann endlich der Kalender geliefert wird.
Nun habe ich nicht nur gearbeitet: Ich habe mich mit Freundinnen an der Fehmarnsundbrücke getroffen und ein beglückendes Seminar mit angehenden Autoren durchgeführt, unsere Hundefreundin kam mit Jenny und holte Senta und mich zu einem Badeausflug ab, ich bekam Besuch und nette Anrufe, fuhr zu einer Freundin und ging zu verschiedenen interessanten Veranstaltungen, wo ich auch wieder Freunde traf: Konzerte, Vernissagen, Vorträge – hier auf Fehmarn gibt es im Sommer ein reiches kulturelles Leben.
Was nun ließ mich gestern Abend so intensiv an dieses Lied „Einmal leben“ denken? Wir leben nur einmal, selbst wenn wir an die Wiedergeburt glauben, müssen wir doch akzeptieren, dass unsere Zeit hier begrenzt ist. Mit einem Male kann alles vorbei sein, so wie ich es mit Hans Christian erlebt habe. Er ist nun schon fünf Monate nicht mehr bei uns, auch wenn Senta und ich ihn immer noch spüren und immer noch um ihn trauern.
Ich rede nicht mehr mit ihm, wir lachen nicht mehr zusammen, wir sitzen nicht mehr gemeinsam beim Essen oder sagen uns, dass wir uns lieb haben. Wir schlafen nicht mehr zusammen ein und wachen nicht zusammen auf. Ich trinke zwar jeden Abend ein Gläschen Sherry „auf diesen schönen Tag“ – aber das ist etwas anderes, als es mit Hans Christian war.
Trotzdem beginne ich, mein neues Leben zu genießen und wieder glücklich zu sein. Der Gedanke „Einmal leben“ brachte mich dazu, darüber nachzudenken, was für mich wirklich wichtig ist und wie ich mein Leben weiter leben möchte.
Es gibt immer wieder Menschen, die Ärger verursachen, durch die man endlose Diskussionen über negative Dinge hat. Und dann merkt man, wie unwichtig all das ist, vor allem, wenn man mit lieben Menschen über derart Unerfreuliches spricht. Wie schön könnte man doch die Zeit mit erfreulicheren Gesprächen verbringen!
Und so kam mir vorgestern der Gedanke, wie es wäre, wenn manches aus meinem Leben verschwinden würde, wenn negativ denkende und handelnde Menschen nicht mehr zu meinem näheren Umfeld gehören. Erleichternd war das Gefühl, nachdem ich einen Entschluss gefasst hatte. Ich entferne mich von Menschen, die mir nicht gut tun – und plötzlich ist wieder Frieden da. Ich kann mein Leben genießen und bin glücklich:
„Einmal leben, einmal leben, zweimal leben gibt es nicht.“
Mir fiel ein Spruch ein, den Hans Christian immer zitiert hatte:
„On n’a pas le droit de tout avoir.“ – Man hat nicht das Recht, alles zu haben.
Ich brauche auch nicht alles, ich komme mit Wenigem aus, um glücklich zu sein.
Ach ja, und dann Hans Christians Motto:
Un bonheur c’est tout le bonheur. Deux, c’est comme s’ils n’existaient plus.
Ein Glück, das ist das ganze Glück. Zwei, das ist so, als ob sie nicht existierten.
Einmal leben – ein Glück – das ist das ganze Glück. Ich habe über 16 Jahre lang glücklich mit Hans Christian zusammengelebt – und damit ist die Basis gelegt für ein glückliches Weiterleben, auch ohne ihn. Ein zweites derartiges Glück kann es nicht geben. Und es macht mich sehr zufrieden, das zu erkennen.
Das Bewusstsein, eine glückliche Zeit erlebt zu haben, macht mich glücklich, denn all die schönen Erinnerungen sind ja noch da. All das Negative aus der Zeit von Krankheit, Pflege und Sterben verblasst allmählich, auch wenn immer wieder einmal der Schmerz ganz überraschend und ganz heftig auftritt.
„Einmal leben, einmal leben, zweimal leben gibt es nicht.“
Zwar habe ich heute wieder den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und werde es auch in den nächsten Tagen noch tun – weil zwei Autorinnen schon sehnsüchtig auf ihre Bücher warten. Einige müssen trotzdem noch bis zum Herbst warten.
Aber dann beginnt endlich die ersehnte Sommerpause – und für die Zeit danach habe ich nun schon öfter „Nein“ gesagt. Denn Leben ist mehr als Büchermachen – in Abwandlung eines anderen Liedes von Zuckowski. Leben ist Glück und Leben ist Liebe, Leben ist Zusammensein mit lieben Menschen und treuen Hunden.
Und deshalb höre ich jetzt auf zu schreiben. Senta wartet unten im Wohnzimmer auf mich, wir werden noch ein wenig Musik hören, schmusen, Leckerli essen und ich werde ein Gläschen Rotwein trinken. Denn morgen ist schließlich Sonntag, da können wir ausschlafen. Und dann am Abend das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft anschauen.