Der 10.10.2014 – ein doppelter Gedenktag: heute ist unser 18. Kennenlerntag und gleichzeitig ist Hans Christian heute 8 Monate tot.
Wir haben diesen Tag jedes Jahr gefeiert, aber ich finde keine Fotos vom letzten Jahr. Denn es ist der Tag vor dem Geburtstag von Hans Christians Bruder Wolfgang, und der ist im vorigen Jahr verstorben, vier Monate vor seinem 70. Geburtstag. Vielleicht gibt es deswegen keine Fotos.
Aber wenige Tage zuvor, am 30. September 2013, hatten wir unsere „Petersilienhochzeit“ gefeiert – wir waren genau 12 ½ Jahre verheiratet. Die Halbzeit bis zur Silberhochzeit, die wir uns zum Ziel gesetzt hatten. Ich hatte fest daran geglaubt, dass wir es bis dahin schaffen würden, bis zum 30. März 2026. Das war immer ein gutes Gefühl, auch in schlechten Zeiten.
Hans Christian wollte 100 werden, nachdem er die Phase, in der er nicht mehr leben wollte, überstanden hatte. Noch an seinem letzten, dem 76. Geburtstag sagte er: Ich will 100 werden. Und zum 80. Geburtstag wollten wir doch unbedingt nach Armentarola reisen. Sein Freund, der Barkeeper Vladimiro, hatte ihm eine schöne Zigarre aus dem Kästchen in der Hausbar versprochen.
Daraus wird nun nichts mehr, aber ich war in der letzten Zeit oft in Armentarola – in Gedanken. Ich habe mein Buch zum 70. Jubiläum des Hotels neu aufgelegt in meinem Verlag und eine Ergänzung für die Jahre 2009-2014 dazu geschrieben. Zwar waren wir im Dezember 2009 das letzte Mal in Armentarola, aber in Gedanken waren wir immer wieder dort, an diesem Ort des Glücks, der Lebenslust, der Heiterkeit und des Optimismus. Es war mein Wunschtraum, mit Hans Christian und Senta zusammen nach Armentarola zu reisen. Doch im Frühjahr 2013 musste ich einsehen, dass eine solche Reise für uns nicht zu realisieren sein würde. So las ich Hans Christian im Sommer unsere Armentarolageschichten vor. Wir schauten die Bilder an, freuten uns und erinnerten uns mit Tränen in den Augen an die wunderschöne Zeit.
In der Nacht vom 9. zum 10. Februar 2014 reiste ich noch einmal in Gedanken mit Hans Christian nach Armentarola. Ich schickte ihm meine Zeichen über das Universum – von Fehmarn zur Klinik in Neustadt. Laut las ich Senta die ganze Geschichte „Der Geist von Armentarola“ vor.
Noch kurz bevor er am 10. Februar gegen Mittag starb, erzählte ich ihm von unserer allerletzten Reise nach Armentarola. Ich bin sicher, der Geist von Armentarola wird dort, hoch oben in den Bergen, für ein Wiedersehen sorgen. Ich glaube daran, dass ich ihm in Armentarola nahe sein kann – da sind wir ja ein Stückchen näher am Himmel dran!
Denn ich plane nun ganz konkret eine Reise nach Armentarola, mit Senta. Die aber steigt noch nicht in mein Auto, da braucht es noch ein wenig Geduld und etwas Übung. Ich glaube einfach, der Hund weiß, dass es in diesem Herbst noch zu früh gewesen wäre zu verreisen.
Beim Schreiben der Ergänzungen zum Buch habe ich all die Bilder angesehen – vieles war ja zum letzten Mal, ohne dass wir es wussten. Und mir ist bewusst geworden, dass die Erlebnisse in Armentarola, die Lebenslust, die Heiterkeit und der Optimismus, die wir dort immer wieder erfahren durften, mich sehr geprägt haben. Mein Leben, mein Denken und auch meinen Verlag.
Und so schreibe ich heute, an diesem denkwürdigen Tag, diesen Blog, mir ist schon länger danach. Seit einigen Tagen oder Wochen habe ich immerzu das Gefühl, wieder glücklich zu leben. Ich weiß, dass unsere Liebe nicht vorbei ist, auch wenn Hans Christian physisch nicht mehr bei uns ist. Aber ich spüre deutlich, dass diese Liebe überdauert – trotz Tod, Trennung und Abschied. Es ist eine Liebe auf immer und ewig – und ich kann mich auf ein Wiedersehen freuen.
Ich habe hier in Haus und Garten einiges neu gestaltet, ich bin stolz darauf, dass ich das alles schaffe. Ich fühle mich hier einfach wohl, mit meinem Hund Senta und meinem Verlag. Ich bin so dankbar, denn ohne Hans Christian wäre ich jetzt nicht hier, auf meiner Trauminsel in der Ostsee.
Ich habe meine Berufung gefunden, durch meine und unsere Liebe zu den Büchern. Und erst kürzlich erfuhr ich, dass mein Urgroßvater einen Verlag und eine Buchdruckerei hatte – in Tondern, dem Geburtsort meiner Großmutter väterlicherseits, von der ich seit über 50 Jahren nichts mehr erfahren hatte. Eine glückliche Fügung ließ mich wieder den Kontakt zu meinen Verwandten in Hamburg finden – und so bin ich heute nicht allein, obwohl mein einziger Bruder sich aus meinem Leben zurückgezogen hat.
Durch Hans Christian habe ich das positive Denken und den Optimismus gelernt – „ich habe immer Geld“, sagte er, als er noch damit umgehen konnte. Ich habe eine großartige Zeit der Liebe erlebt, und auch die letzten Jahre, als es meinem Mann immer schlechter ging, standen immer unter dem Stern der Liebe.
„On n‘a pas le droit de tout avoir“, zitierte Hans Christian immer aus der „Geschichte vom Soldaten“ von Igor Strawinsky: „Un bonheur, c’est tout le bonheur; deux, c‘est comme s‘il n‘existait plus.“ (Man hat nicht das Recht alles zu haben. Ein Glück, das ist das ganze Glück. Zwei – das ist so, als ob es nicht mehr existierte.)
„Vom Glück in schweren Zeiten“, so lautet der Titel des Buches, das ich über diese Zeit schreiben möchte. „Auf diesen schönen Tag“, mit einem Glas Sherry haben wir jeden Abend angestoßen, und uns über den schönen Tag gefreut. Und wenn ich mich mit meinem kranken und behinderten Mann so sehr freuen konnte, warum sollte ich es jetzt nicht können?
Jeden Abend stoße ich mit ihm an und schaue in den wundervollen Sternenhimmel über Fehmarn, dorthin, wo er vielleicht ist und uns zuschaut. Fast jeden Tag besuche ich sein Grab, auch wenn ich weiß, dass er dort schon lange nicht mehr ist. Aber es ist ein Ort, der mir Kraft und Energie gibt, wo ich das Wichtigste des Tages berichte und manchmal eine Antwort oder zumindest ein Wort der Zustimmung vernehme. Ich bin beruhigt, weil ich sicher bin, dass es Hans Christian dort, wo er jetzt ist, gut geht.
Und seit mir klar ist, dass ich diese Liebe nicht verloren habe, sondern auf immer und ewig bewahren darf, habe ich mir erlaubt, wieder glücklich zu sein. Ich genieße es, hier auf der Insel Fehmarn zu leben. Ich liebe mein schönes Haus, den Garten und das Auto, ich liebe Senta, meinen Verlag und meine Autoren – all das hätte ich ohne Hans Christian niemals in meinem Leben erfahren können.
So bekommen das durchlebte Leiden und die schweren Zeiten einen Sinn. Liebe und Leid sind lediglich zwei Seiten einer Medaille. Und ohne zu weinen und zu trauern kann man nicht erfahren, was Glück wirklich bedeutet. Vorgestern war ich in Hamburg im Konzert von Reinhard Mey, der dieses schöne Lied sang:
Lass nun ruhig los das Ruder,
Dein Schiff kennt den Kurs allein.
Du bist sicher, Schlafes Bruder
Wird ein guter Lotse sein.
Lass nun Zirkel, Log und Lot
Getrost aus den müden Händen,
Aller Kummer, alle Not,
Alle Schmerzen enden.
Es ist tröstlich, einzusehen,
Dass nach der bemess’nen Frist
Abschiednehmen und Vergehen
Auch ein Teil des Lebens ist.
Und der Wind wird weiter wehn,
Und es dreht der Kreis des Lebens,
Und das Gras wird neu entstehn,
Und nichts ist vergebens.
Es kommt nicht der grimme Schnitter,
Es kommt nicht ein Feind,
Es kommt, scheint sein Kelch auch bitter,
Ein Freund, der’s gut mit uns meint.
Heimkehr’n in den guten Hafen
Über spiegelglattes Meer,
Nicht mehr kämpfen, ruhig schlafen,
Nun ist Frieden ringsumher.
Und das Dunkel weicht dem Licht,
Mag es noch so finster scheinen.
Nein, hadern dürfen wir nicht –
Doch wir dürfen weinen.
Dieses Lied war für mich ein großer Trost, so wie die Musik mir überhaupt in den letzten Monaten viel Trost gegeben hat. Der Tod des geliebten Partners ist nicht das Ende, das Dunkel weicht dem Licht, wie es in dem Lied heißt. Frieden kehrt ein, für meinen geliebten Hans Christian, aber auch für mich und mein Leben.
„Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.“, so heißt es im Hohelied der Liebe, dem 1. Korintherbrief 13.8, der bei Hans Christians Beerdigung gelesen wurde.
„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Die Liebe überdauert, und das zu erkennen, lässt mich heute glücklich leben. Nicht nur heute, schon einige Wochen lang, und auch mein Blick auf morgen ist von der Liebe und dem Glücklichsein geprägt.
Ich höre jetzt auf zu schreiben, denn gleich beginnt die NRD Talkshow – eine meiner Lieblingssendungen, mit der das Wochenende beginnt.
Ich wünsche Euch ein wundervolles, sonniges Herbstwochenende voller Liebe und Glück!