27. Oktober 2010
Heute wurde ich durch einen Anruf des T-Mobile-Kundenservice geweckt – eine freundliche Dame bestätigte den Eingang meiner Mail und wollte meine Kundennummer erfahren. Schlaftrunken durchsuchte ich meine Unterlagen. Hoffentlich würden sich die Irritationen über einige Vertragsangelegenheiten klären.
Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich nur Nasses – der heftige Sturm türmte die Ostsee zu großen Wellen mit weißen Schaumkronen auf, der Regen schlug gegen unsere Fenster, der ganze Balkon war überschwemmt. Die Handtücher, die ich gestern zum Trocknen hinaus gehängt hatte, waren durchnässt. Und es war kalt in unserer kleinen Wohnung; denn ich hatte die Nachtspeicherheizung gestern herunter geschaltet, nachdem tagelang die Sonne hinein geschienen und die Temperaturen in die Höhe getrieben hatte.
Ich legte mich einfach wieder ins Bett. Da die nette Dame von T-Mobile angekündigt hatte, sich wieder zu melden, nachdem sie meine Angelegenheit recherchiert haben würde, stellte ich vorsichtshalber mein iPhone auf stumm. So konnte ich noch zwei Stündchen weiter schlafen.
Ich wollte heute unbedingt nach Burg zum Wochenmarkt, denn letzte Woche war das ein so schönes Erlebnis gewesen. Obwohl ich den ganzen Sommer nicht dort gewesen war, hatte man mich wieder erkannt, und ich wurde im Nu in viele Gespräche verwickelt. So nahm ich mir vor, von jetzt an jeden Mittwoch zum Markt zu gehen. Angesichts der nasskalten Witterung zog ich erstmalig in diesem Herbst einen dicken Pullover an, suchte Mütze, Schal und Handschuhe heraus und machte mich warm vermummt in meinen Dufflecoat auf den Weg.
Hans Christian hatte von all dem nichts bemerkt und schlief ganz friedlich, denn in der Nacht war es wieder mal spät geworden. Wie schön, er hat jetzt keine Albträume mehr, er schläft oft rund um die Uhr, und hat viel weniger Ängste als früher. So konnte ich ihn ruhig alleine lassen.
Als ich aus dem Haus kam, staunte ich über die leeren Parkplätze. Fast alle Herbstferiengäste waren abgereist. An der Strandallee sah die Landschaft dunkel und herbstlich aus. Die Bäume waren nur einige Tage bunt gewesen und dann ganz schnell kahl geworden. Alle Blätter waren in den Stürmen der letzten Tage verschwunden.
Der Markt war ziemlich geschrumpft, denn es gab fast gar keine Touristen mehr auf unserer schönen Sonneninsel. Auf dem Marktplatz hatte ich zunächst zwei Ziele: Am Geflügelstand kaufte ich ein frisches Hähnchen, am Gemüsestand frisches Suppengemüse. Heute Abend würde daraus unsere geliebte Hühnersuppe entstehen – gerade richtig als Erwärmung bei diesem nasskalten Oktoberwetter.
Die Brötchenverkäuferin war heute ungewohnt gesprächig, sie erzählte mir lang und breit ihr Erlebnis beim Einkochen von Quittengelee. Die Menschen hier auf Fehmarn rücken jetzt ein wenig näher zusammen. In der dunklen Jahreszeit sind wenig Fremde hier und man weiß, wer jetzt zum Einkaufen kommt, der bleibt auch im Winter hier. Und so erzählt man sich so einiges.
Als ich über die Strandallee zurück zum Südstrand fuhr, staunte ich nicht schlecht: Die Fehmarnsundbrücke war gar nicht mehr zu sehen – aber das lag wohl eher an den dicken Wolken, die sich über dem Wasser auftürmten. Auf der Straße gab es große Seen, die beim Durchfahren hoch aufspritzten. Oh dachte ich, und wir wollen wir heute Nachmittag zum Klönschnack in ein Hofcafé auf dem Dorf? Hans Christian in seinem Rollstuhl würde ganz durchnässt sein, bevor er im Auto wäre. Und so rief ich unsere Freundin Piggi an und sagte ab. Wir würden heute ganz ruhig in der gemütlichen Wohnung bleiben.
Hans Christian schlief immer noch. Er merkte nicht, wie ich mir eine Kanne Tee kochte – „Fehmaraner Meeresrauschen“ hieß die köstliche Sorte, und dazu kam das Meeresrauschen im Original. Er hörte auch nicht, wie ich mit dem Notariat telefonierte, denn wir haben immer noch nicht die Zahlungsaufforderung für unser Haus, das wir am Montag übernehmen wollen. Hans Christian wurde erst wach, als ich mir ein Brötchen holen wollte. Da war es schon fast zwei Uhr. Und dann haben wir beide gefrühstückt: Leckere Brötchen, ein frisch gekochtes Ei, Quittengelee, Lachsschinken, Jagdwurst, Käse, Weintrauben und zwei Kannen Tee. Es war ein wahrhaft köstliches Mahl.
Inzwischen war es vier Uhr geworden und wir beide genossen diesen Tag. Auch ohne den Klönschnack mit Piggi, den wir bestimmt bald nachholen würden. Die Telekom war vergessen, der Notar auch. Die Übergabe des Hauses sollte doch erst am Montag sein, vielleicht auch am Dienstag. Die Handwerker hatte ich für Mittwoch bestellt. Das würde schon klappen, das belastete uns heute nicht. Die Wohnung war inzwischen schön warm geworden, denn auch am Nachmittag kann man hier Wärme speichern. Eine Freundin aus dem Seniorentreff schrieb mir, sie sei ein wenig krank – ich hatte es mir schon fast gedacht.
Eine Bekannte schrieb mir, sie fühlte sich von meinen Geschichten angesprochen, sie enthielten Gefühl und Inhalt. Und das gefiel ihr. Wie schön, ein solches Lob! Sie schrieb auch, man hätte das Gefühl, dass ich alles meistern könnte. Oh, wie tat das gut!
Aber ehrlich, dieses Gefühl habe ich schon lange. Seit wir uns entschlossen haben, ganz nach Fehmarn zu ziehen. Seitdem klappt einfach alles. Ich mache da gar nicht so viel. Ich erledige nur eins nach dem anderen, und mit den meisten Menschen rede ich einfach darüber. Wie mit den Telekom-Mitarbeitern. Mal sehen, sicher klappt auch das noch!
Gerade als sich mein Mann aufs Sofa legen wollte, klingelte der Postbote und brachte ein großes Paket. Wie gut, dass wir nicht weggefahren waren! Ich packte den leichten Rollstuhl aus, den ich erst am Sonntag bestellt hatte. In unserem neuen Haus braucht Hans Christian einen zweiten Rollstuhl für die obere Etage. Der ist nun schon da. Die Hausübergabe werden wir wohl auch noch schaffen!
Als dann endlich der Rollstuhl montiert, der große Karton entsorgt, die Wäsche getrocknet, Hans Christian ausgeschlafen, die Hühnersuppe aufgesetzt war, rief ich meine kranke Freundin an. Und ich erfuhr, was sie bedrückte. Ich konnte ihr meine Telekom-Erlebnisse erzählen. Und noch einiges mehr. Wir beide redeten so lange, bis die Hühnersuppe fertig und der Reis gar war. Hans Christian und ich genossen die Hühnersuppe, die erste mit einem holsteinischen Hähnchen. Lecker!!
Der Sturm war vorüber, es regnete nicht mehr. Aber wir hatten es kaum bemerkt, die Vorhänge schon lange vorgezogen und eine Kerze angezündet. Wir hörten schöne Musik in unserer wohlig-warmen Mini-Wohnung.
Was war das für ein schöner Oktobertag, an dem wir unser Glück genossen! Mir fiel das Motto meines Buches „Leben ist mehr“ ein:
„Glück kann man nicht auf morgen verschieben – Leben ist jetzt und hier.“
Und ich begann meinen Blog „Oktober – Leben ist jetzt und hier“ zu schreiben.
Aus: Beate Forsbach: Strandallee – Ein Weg zum Glück. Edition Forsbach 2012