Heute Vormittag war ich mit meiner Berner Sennenhündin Senta am Strand von Fehmarnsund. Es war eine ganz eigenartige Atmosphäre – die Vormittagssonne leuchtete golden auf dem Meer. Eigentlich hatte ich so etwas noch nie gesehen, wir genossen es beide sehr. Senta wollte mal wieder nicht zurück nach Hause. Sie spürt es irgendwie, jede ganz besondere Situation.
Vor zwei Tagen, am Sonntag, hatte ich daran gedacht, dass ich vor 40 Jahren erstmals nach Fehmarn gekommen war und hier einen sonnigen Herbsturlaub zusammen mit meiner Mutter verlebt hatte. Diese Woche fahre ich mit Senta auf den damaligen Spuren kreuz und quer über die Insel, die wunderschön im Licht der Oktobersonne leuchtet. So waren wir also heute Vormittag in Fehmarnsund, an einem der ersten Strände, die ich damals mit meiner Mutter besucht hatte.
Ich weiß nicht warum, aber ich sagte plötzlich zu Senta: Wir wollen alles sofort machen, was wir wichtig finden. Wir schieben nichts auf. Und mir kam plötzlich diese Geschichte von der letzten Fahrt über die Ostsee mit meiner Mutter in den Sinn. Wann war das noch gewesen? Mein Blog hat es mir verraten: am 14. Oktober 1997 – also genau vor zwanzig Jahren, an einem Dienstag so wie heute.
Diese Geschichte von der letzten Fahrt über die Ostsee mit meiner Mutter ist in meinem Buch „Strandallee – Ein Weg zum Glück“ enthalten.
Für alle, die meine Mutter kannten, und auch für meine vielen Freunde, die sie nicht kennengelernt haben, veröffentliche ich hier noch einmal die Geschichte „Abschied für immer“, die ich am 14. Oktober 2010 geschrieben hatte.
Abschied für immer
In den Herbstferien 1997 fuhr ich mit meiner Mutter für neun Tage nach Fehmarn. Ich war lange krank gewesen, und wir freuten uns auf einen geruhsamen Urlaub auf Fehmarn. Unterwegs hörten wir im Radio Unwetterwarnungen, man sollte die Fahrt möglichst unterbrechen. Wir aber wollten unbedingt auf Fehmarn ankommen, war ich doch nach der letzten Schulstunde losgefahren, um keine Minute dieser Ferien zu versäumen.
Und so fuhren wir am späten Abend bei einem heftigen Orkan über die Fehmarnsundbrücke. Am Südstrand konnte ich kaum die Autotüren aufmachen, um meiner Mutter hinaus zu helfen, so sehr blies der Sturm.
Nach ein paar Tagen hatten wir uns ausgeruht. Der 14. Oktober 1997 war ein herrlich sonniger Herbsttag, der Himmel war wolkenlos, die Ostsee ganz glatt und blau. Nach dem Frühstück beschlossen wir, diesen herrlichen Tag auszunutzen und eine Schiffsfahrt zu machen.
Meine Mutter liebte die Fahrten mit den Dampfern aus dem Hafen Burgstaaken, den sogenannten „Butterschiffen“. Man fuhr damit für ganz kleines Fahrgeld mehrere Stunden rund um die Insel, konnte dabei zollfrei einkaufen und lecker essen. Mein Anruf im Hafen ergab, dass das Schiff an diesem Nachmittag restlos ausgebucht war. Statt enttäuscht zu sein, überlegten wir, wie wir trotzdem eine Schiffsfahrt machen könnten.
Die große Fähre nach Dänemark mochten wir nicht so sehr, und so schlug ich vor, eine Fahrt mit dem neuen Tragflügelboot quer über die Ostsee nach Warnemünde zu machen. Es hatte erst im Sommer seinen Betrieb aufgenommen, aber wir waren noch nicht damit gefahren, weil die Fahrkarten recht teuer waren. Meine Mutter musste sparsam sein, ihre Rente war nicht allzu hoch, und sie ließ sich nicht gerne von mir einladen. Angesichts des wundervollen Oktobertages fragte ich nicht lange und bestellte zwei Fahrkarten für den Nachmittag.
Kurz vor der Abfahrt machte ich ein Foto von meiner Mutter im Hafen Burgstaaken. Sie liebte die Ostsee über alles, denn sie war in Danzig geboren und aufgewachsen. Seit 20 Jahren kamen wir schon zusammen nach Fehmarn, zuerst in den Herbstferien, später zu jeder Jahreszeit. Meine Mutter hat viele Bilder von dieser schönen Insel gemalt, die sie so sehr an ihre verlorene Heimat erinnerte.
An diesem unglaublich herrlichen Tag machten wir also eine Schiffsfahrt nach Warnemünde. Dort hängte meine Mutter sich schwer an meinen Arm, und wir betraten eines der schönen Restaurants am Hafen. Ich war ein wenig traurig, weil meine Mutter nicht mit mir spazieren gehen konnte. Als ich hinaus ging, sah ich einen wunderschönen Regenbogen, den ich für meine Mutter fotografierte. Abends fuhren wir mit dem schnellen Tragflügelboot über die Ostsee zurück nach Fehmarn.
Es war ein wundervoller Tag. Wir hatten etwas getan, was wir sonst nicht gemacht hätten: Wir hatten uns eine schöne Schiffsfahrt über die Ostsee geleistet. Damals kannte ich mein heutiges Motto noch nicht, aber wir lebten danach:
„Glück kann man nicht auf morgen verschieben –
Leben ist jetzt und hier.“
Als wir am Ende der Herbstferien über die Strandallee nach Hause fuhren, ahnte ich nicht, dass es diesmal ein Abschied für immer sein würde. Aber anders, als man denken könnte. Vier Wochen nach dem schönen Ostsee-Ausflug war meine Mutter tot, sie starb am 11. November 1997 an einem zweiten Herzinfarkt, nachdem sie drei Tage zuvor den ersten Herzinfarkt überlebt hatte. Ich hatte nicht damit gerechnet, denn sie lag ja im Krankenhaus, war gerade von der Intensivstation auf die normale Station gebracht worden.
Am Abend dieses Tages, an dem im Rheinland der Karneval beginnt, erleuchtete ein großes Feuerwerk den Himmel über Dinslaken, mit dem die Martinikirmes ihren Abschluss fand. Für mich endete an diesem Abend ein Lebensabschnitt von über 45 Jahren. Meine Mutter war tot, nun hieß es Abschied nehmen.
Das Foto im Hafen Burgstaaken war das letzte, das ich von meiner Mutter aufgenommen hatte. In den Tagen vor der Beerdigung ließ ich es kopieren und rahmte es ein, um es einigen nahestehenden Menschen zu schenken.
Als Erinnerung an einen wunderschönen Herbsttag an der Ostsee und an eine großartige Frau, die mit Optimismus, Herzlichkeit und Humor ihr Leben gemeistert hat. Sie hat mir durch ihr Vorbild Liebe und Kraft für ein ganzes Leben gegeben. Und durch sie habe ich wohl auch meine Liebe zur Ostsee und zur Insel Fehmarn gefunden.
Aus meinem Buch: Strandallee – Ein Weg zum Glück. Geschichten und Bilder von der Sonneninsel Fehmarn. 2. Aufl., Edition Forsbach 2013, S. 45-47
In den letzten Tagen war ich in Gedanken mehrfach in dem Herbsturlaub vor 40 Jahren gewesen, aber auch in der Zeit vor fast 20 Jahren, als ich mit meinem Mann Hans Christian – nach dem Tod meiner Mutter – erstmals hier auf der Insel war. Die Wege, die ich nun mit meiner Senta gehe, bin ich mit ihm und viele Jahre zuvor auch mit meiner Mutter gegangen.
Dieses eigenartige orangegelbe Sonnenlicht über dem Meer heute Vormittag ließ meine Gedanken in eine andere Dimension gleiten – das Segelboot in der Ferne erinnerte mich daran, dass ich an dieser Stelle am Meer immer wieder mit Senta hinüberwinke ins Reich jenseits des Horizontes, in dem meine Mutter, mein Mann, Senta Mama, Louise Hay und noch einige andere liebe Verstorbene inzwischen sind.
Und ganz klar mein Gedanke: Wir schieben nichts auf. Denn es gilt:
„Glück kann man nicht auf morgen verschieben –
Leben ist jetzt und hier.“
Wir wissen niemals, wann es das letzte Mal sein wird, dass wir uns sehen. Lasst uns unsere Zeit genießen, so wie wir sie erleben. Lasst uns niemals etwas aufschieben, was uns heute wichtig erscheint. Denn Leben ist jetzt und hier. Und ich bin von Liebe umgeben. Alles ist gut.