Heute ist der fünfte Jahrestag nach Hans Christians Tod. Seit einem Jahr habe ich keinen Blogartikel mehr geschrieben zu seinem Gedenken – denn mein Buch „Traurig war ich schon lange – Weiterleben ohne Dich“ sollte am heutigen Tage erscheinen. Es war nicht ganz einfach für mich, dieses Buch zu schreiben. Denn Heilung braucht Zeit.
Bei einem Strandspaziergang im letzten Sommer bekam ich zwei frisch gefangene Schollen geschenkt, habe sie zu Hause gleich gebraten und im Freien genossen mit Gurkensalat und Kartoffeln – es war ein altbekannter Geruch und vertrauter Geschmack sowie ein Gefühl großen Glücks: Denn beim letzten Abendessen mit meinem Mann ganz kurz vor seinem Tod hatte es dieses Gericht gegeben und ich hatte es schon lange nicht mehr zubereitet.
An diesem Sommertag jedoch empfand ich nur noch Glück und spürte keine Trauer mehr. Für mich war es auch ein Zeichen, endlich dieses Buch fertigzustellen. Das Buch wird in wenigen Wochen erscheinen.
Und so schreibe ich heute, am 10. Februar 2019, weiter an meinem Buch – und ich poste noch einmal diesen letzten Blogartikel vom 10. Februar 2018, dem vierten Jahrestag nach Hans Christians Tod.
Am Valentinstag, dem Tag der Liebenden, am 14. Februar 2014, wurde er beerdigt. Der Pfarrer hatte den Gottesdienst unter das Motto der Liebe gestellt mit dem Spruch aus dem „Hohelied der Liebe“:
Die Liebe hört niemals auf,
wo doch das prophetische Reden aufhören wird
und das Zungenreden aufhören wird
und die Erkenntnis aufhören wird.
(1. Korinther 13,8)
Auch in diesem vierten Jahr nach seinem Tod habe ich mir viele Gedanken gemacht über die Liebe. Was aber ist das Gegenteil zur Liebe? Hass? Ich glaube eher: es ist die Angst. Im „Hohelied der Liebe“ heißt es – es sind die wohl berühmtesten Worte aus diesem Text:
„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
(1. Korinther 13,13)
Was ist, wenn man weder glauben noch hoffen kann, wenn Angst uns lehrt, zu zweifeln, am anderen, an uns selbst, an der Liebe? Und ganz schlimm: was ist, wenn es so gar keine Hoffnung mehr gibt? Hoffnung auf ein Weiterleben, Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Hoffnung auf die ewige Liebe, Hoffnung auf das ewige Leben.
Gestern vor vier Jahren war ich voller Hoffnung: ich hatte gewartet, man wollte mich von der Klinik aus anrufen, ob die Dialyse geglückt war. Am Mittag hatten sie mir gesagt, dass er jeden Moment sterben könnte. Ich war nach Hause gefahren, hatte alle unsere Bücher gezählt, hatte keinen Gedanken außer: ob sie jetzt wohl bald anrufen? Aber sie riefen nicht an, und als ich dann mit der Ärztin telefonierte, erfuhr ich, dass die Dialyse noch nicht geglückt war. Erst am nächsten Morgen, früh im Morgengrauen, klingelte das iPhone und sie riefen mich zu ihm.
In der Nacht war ich noch einmal mit ihm in Armentarola gewesen, wo wir so viele glückliche Tage erlebt hatten. Ich las unserer Senta die schönen Geschichten aus meinem Armentarola-Buch laut vor. Immer wieder schickte ich ihm eine Nachricht durchs Universum, noch ein wenig durchzuhalten.
Ich wollte doch so gerne noch einmal mit ihm und Senta – mit meiner kleinen Familie – nach Armentarola reisen. Ich hatte die Reise schon geplant, von Neujellingsdorf aus, mit zwei Zwischenstopps in Hotels, die behindertengerecht waren und große Hunde akzeptierten. In allen Einzelheiten hatte ich überlegt, wie ich zuerst ihn und dann Senta ins Hotel bringen würde. Ich hatte gehofft, dass wir mit dem Schwenksitz fürs Auto alles bewältigen könnten. Die Hoffnung auf diese Reise musste ich irgendwann aufgeben.
Was blieb – in dieser langen Nacht vom 9. auf den 10. Februar 2014 – das war die Liebe.
Gibt es sie, die ewige Liebe? In welcher Form erlebt man sie?
Im Juli 2014 hatte ich in meinem Blogartikel „Einmal leben“ geschrieben:
„Ich rede nicht mehr mit ihm, wir lachen nicht mehr zusammen, wir sitzen nicht mehr gemeinsam beim Essen oder sagen uns, dass wir uns lieb haben. Wir schlafen nicht mehr zusammen ein und wachen nicht zusammen auf. Ich trinke zwar jeden Abend ein Gläschen Sherry »auf diesen schönen Tag« – aber das ist etwas anderes, als es mit Hans Christian war. Trotzdem beginne ich, mein neues Leben zu genießen und wieder glücklich zu sein.“
Hans Christian hatte immer einen Spruch zitiert:
„On n’a pas le droit de tout avoir.“ – Man hat nicht das Recht, alles zu haben.
„Un bonheur c’est tout le bonheur. Deux, c’est comme s’ils n’existaient plus.“
Ein Glück, das ist das ganze Glück. Zwei, das ist so, als ob sie nicht existierten.
Daraus zog ich die Schlussfolgerung: „Einmal leben – ein Glück – das ist das ganze Glück.“ Und: „Ein zweites derartiges Glück kann es nicht geben.“
Heute weiß ich, dass es stimmt: „Einmal leben – ein Glück – das ist das ganze Glück.“ Ein zweites Glück gibt es nicht, denn es ist das eine, das ganze Glück unseres Lebens, das wir erleben – mehr oder weniger intensiv. Ich hatte Annäherungsversuche erlebt, die mir nicht recht gewesen waren. Und andere, die ich zunächst nicht bewusst wahrgenommen hatte. Heute weiß ich es: das war keine Liebe. Wahre Liebe ist immer gepaart mit dem Glauben an den anderen, mit dem Vertrauen in ihn, und mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Wenn die vermeintliche Liebe der Angst weicht, wenn Macht, Abhängigkeit und Manipulation von Gefühlen an die Stelle der Liebe treten, dann ist es keine wahre Liebe.
Hans Christian hatte immer gesagt: „Dreimal ist göttlich.“ Ich war seine dritte Frau. Auf die Frage in einem Interview: „Was war der bisher glücklichste Tag in Ihrem Leben?“ hatte er geantwortet: „Als ich meine jetzige Frau kennenlernte.“ Auf die Frage, welchen Menschen er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, meinte er: „Meine Frau.“ Für ihn war es das größte Glück, dass er mich gefunden hatte nach zwei unglücklichen Ehen. „Dreimal ist göttlich!“ All das wurde mir erst nach seinem Tod klar.
Aber wie ist es, wenn man einmal ein großes Glück erlebt hat? Kann man es ein zweites Mal erleben? Heute glaube ich, dass es der Weg war, die Liebe zu mir selbst, zu meinem Umfeld und zu meinem Leben zu finden.
Louise Hay sagt dazu:
„Das Leben ist ganz einfach. Was ich gebe, kommt zu mir zurück.
Heute entscheide ich mich dafür, Liebe zu geben.“
Die Liebe hört niemals auf. Was ist das, die ewige Liebe?
Schon vor über drei Jahren schrieb ich:
Er ist nicht mehr da. Ich kann nicht mehr mit ihm reden.
Ich spüre keine Gefühle mehr – seine nicht, aber auch meine nicht.
Ich kann ihn auch körperlich nicht mehr spüren.
Schon lange ist er nicht mehr hier, in dem Haus, das mittlerweile mein Haus geworden ist. Und das von Senta, meiner Berner Sennenhündin. Sie prüft jeden Besucher – und zeigt mir sehr schnell, ob jemand wirklich Liebe meint, wenn er dieses Haus betritt. Denn in diesem unserem Haus herrscht die Liebe. Auch wenn ich mich manchmal getäuscht habe, wenn ein vermeintlicher Freund, eine vermeintliche Freundin in unser Haus kamen. Was bleibt, ist die Liebe. Auch den Menschen gegenüber, die uns ent-täuscht und ge-täuscht haben.
„Aber die Liebe bleibt …“ heißt es in dem Lied von Nana Mouskouri, das auch im Beerdigungsgottesdienst erklang. Sie bleibt für immer, aber sie verändert sich.
Die ewige Liebe ist im Reich der Ewigkeit: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Schon als meine Mutter 1997 starb, schrieb ich in der Danksagung: „Meine Mutter hat mit Optimismus, Herzlichkeit und Humor das Leben gemeistert. Sie hat mir durch ihr Vorbild Liebe und Kraft für ein ganzes Leben gegeben.“
Und in der Danksagung nach Hans Christians Tod schrieb ich: „Schließlich danke ich meinem Hans Christian für die Liebe, die er mir geschenkt hat, für die Geduld, die ich durch ihn gelernt und die Kraft, die ich durch ihn gewonnen habe. Die Erinnerungen an die glücklichste Zeit meines Lebens mit meiner großen Liebe werde ich nie verlieren.“
Was aber ist das ewige Leben? Im August des letzten Jahres las ich diese Affirmation von Louise Hay:
Ich bin auf der endlosen Reise durch die Ewigkeit
In der Unendlichkeit des Lebens ist alles vollkommen, ganz und vollendet. Der Kreislauf des Lebens ist auch vollkommen, ganz und vollendet. Es gibt eine Zeit des Beginnens, eine Zeit des Wachsens, eine Zeit des Seins, eine Zeit des Verwelkens oder des Verfalls und eine Zeit des Abschieds. Sie sind alle Teil der Vollkommenheit des Lebens. (Aus: Herzensweisheiten, S. 69)
Am 30. August 2017 starb Louise Hay und ich schrieb in meinem Blogartikel All is well – in Memoriam Louise Hay:
Nun ist sie also in ihrer physischen Gestalt von uns gegangen. Aber sie bleibt bis in alle Ewigkeit bei uns durch ihre Worte, ihre Gedanken, ihre Bücher und Filme, und durch ihre Affirmationen, die zumindest mein Leben ganz stark verändert haben.
Es gibt eine Stelle am Strand von Fehmarnsund, wo Senta und ich immer aufs Meer schauen und Grüße senden an ihr Herrchen, meinen Hans Christian, an meine Mutter und an Sentas Mama Susi, die vor über einem Jahr über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Ich glaube daran, dass unsere Toten irgendwo jenseits des Horizontes in einem anderen Land leben, dass es ihnen dort gut geht und dass sie immer bei uns sind. Und es tröstet mich, dass nun auch Louise Hay dort ist – ihre Gedanken aber bleiben für immer. So wie das Meer immer da ist.
Es hat lange gedauert, bis ich erkannte: Das Leben kann nicht sterben. Seelen sterben nicht. Das Leben hat seinen eigenen Sinn, seinen eigenen Rhythmus. Es verläuft meist nicht so, wie wir es erwarten. Oft bringt es Veränderungen, die uns aus dem eigenen inneren Frieden herausreißen. Wir würden es lieber vermeiden, weil auch die Veränderung Schmerz mit sich bringt. Und wir brauchen viel Geduld, viel Zeit, bis die Seele sich wieder öffnen kann nach dem Schmerz von Verlust und Trauer. Und eines Tages entdecken wir die Wahrheit über das Leben. Egal was geschieht: Ich kann mein Herz heilen. Ich kann wieder lieben. Oder immer noch. Denn die Liebe hört niemals auf. Die Liebe bleibt.
Ich habe es erfahren, durch Schmerz zum Glück zu kommen, mit Hilfe der Musik. Und ich schrieb in meinem Blogartikel vom 8. August 2015: „Ich glaube allerdings, dass Glück ohne Trauer gar nicht sein kann – nur wer auch die Schattenseiten erlebt hat, kann wirkliches Glück empfinden. Ja, es ist wohl so: Glück wird erst durch Leid zum Glück – und es ist notwendig, dass wir durch den Schmerz gehen, weil wir dann das Leben viel besser annehmen und uns gelassener auf den Moment einlassen können.
Seitdem suche ich immer wieder Orte auf, an denen ich mit meinem Mann glücklich gewesen bin. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit ihm eine solch erfüllte Zeit und all das Schöne erleben durfte. Ich erfahre vieles auf eine neue, aber auch sehr schöne Art und Weise. Das zeigt, dass man selbst nach Leid, Schmerz und Trauer eine neue gute und glückliche Zeit erleben kann.“
Inzwischen bin ich mehrfach mit Senta in Armentarola gewesen, unserem geliebten, magischen Ort hoch oben in den Bergen. Ich bin unendlich dankbar, dass ich diesen Ort durch Hans Christian kennengelernt habe. Zuletzt waren wir dort an seinem 80. Geburtstag am 19. Dezember 2017 und verbrachten den Tag mit ihm – es gab noch mehrere Gäste, die sich an ihn erinnerten, an seinen 70. Geburtstag und auch den 72., unseren letzten gemeinsamen Tag in Armentarola, an dem der Hotelchef Franz Wieser um Mitternacht zu Hans Christians Geburtstag das Montanaralied sang:
Hörst du La Montanara
Die Berge sie grüßen dich
Hörst du mein Echo schallen
Und leise verhallen
Dort wo in blauer Ferne
Die Welten entschwinden
Möcht‘ ich dich wieder finden
Mein unvergessenes Glück
Erst letzte Woche erlebte ich in Salzburg ein wundervolles Konzert im Mozarteum – die Idee zu dieser Reise hatte ich am Neujahrsmorgen während des Neujahrskonzertes gehabt. Genau wie vor 11 Jahren, als ich im Mozartjahr mit Hans Christian auf Mozarts Spuren unterwegs war und im Januar 2007 die Mozartwoche erlebt hatte. Ich mietete mich mit Senta im selben Hotel ein, wir gingen auf den alten Spuren, aber wir haben neue, eigene Spuren gelegt. Die festliche Atmosphäre im Mozarteum erinnerte mich an die glückliche Zeit mit Hans Christian – doch schließlich überwog das Glück des Hier und Jetzt.
Und diese glückliche Zeit erlebe ich auch heute noch, auch wenn ich immer wieder mal in Bamberg bin, unserem einstigen Traum-Wohnort. Wie in Salzburg erlebe ich auch dort das Hier und Jetzt, mein ganz eigenes, individuelles und glückliches Leben. Denn ich habe zu mir selbst gefunden, die Liebe zu mir entdeckt, zu meinem neuen Leben, und auch zu meinem Hund. Denn Senta zeigt mir jeden Tag aufs Neue, worauf es ankommt im Leben: Beisammen sein, zueinander stehen, aufrichtig sein in den Gefühlen, den anderen trösten und ihm Mut geben, wenn es notwendig ist, Freude und Trauer miteinander teilen, fröhlich sein, gemeinsam am Strand spazierengehen und auf Reisen sein, aufs weite Meer schauen und an die Lieben denken, die schon jenseits des Horizonts, jenseits der Regenbogenbrücke leben und auf uns warten, bis wir uns eines Tages wiedersehen.
Denn die Liebe bleibt. Und das Leben ist unendlich, eine endlose Reise durch die Ewigkeit.
Und hier noch die Musik: Aber die Liebe bleibt